Der Entdecker. Historischer Roman über Alexander von Humboldt by Mattias Gerwald
Autor:Mattias Gerwald
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: eBooks, Alexander von Humboldt, Vermessung, Neue Welt, Amerika, Aime Bonpland, Südamerika
ISBN: 978-3-95824-297-5
Herausgeber: dotbooks GmbH
veröffentlicht: 2015-06-22T16:00:00+00:00
DAS TOSENDE ENDE DER WELT
Das Wasser brach sich donnernd und kochend an den Felsen. Auf manchen der Felsinseln zwischen Strudeln und schwächerem Gefälle bildeten Cucuritopalmen einen säulenartigen Garten, andere Gewächse ein Dickicht mitten auf der schäumenden Wasserfläche. Granitblöcke waren aufeinandergehäuft wie in Moränen. Überall stürzte sich der Fluss hinab in Höhlen, vielfältig, vielarmig wie ein nimmersatter Krake aus Gischt. Die Wasseroberfläche glich einer schaumigen Decke. Weißer Nebel hing über eisenschwarzen Felsen. Über allem lag der Donner der Elemente wie ein Strafgericht.
Abends krümmten sich Regenbögen, tauchten im gebrochenen Sonnenlicht wie Irrlichter auf und verschwanden wieder. Die Bilder erinnerten Humboldt an die schwärmerische Beschreibung, die der Jesuit in Arupe geliefert hatte.
Längst war die Expedition nur noch am Ufer unterwegs. Das Boot war bis auf die schweren Gepäckstücke geleert, der Rest wurde von allen getragen. Wenn die natürlichen Wehre nicht mehr als einen Meter hoch ragten, wagten es die Indios, im Boot hinabzufahren. Flussaufwärts schwammen sie voraus, brachten nach vielen vergeblichen Versuchen ein Seil um einen aufragenden Baumstamm über dem Damm an und zogen das Fahrzeug an diesem Seil auf die Höhe der Stromschnellen.
Während der anstrengenden Arbeit füllte sich das Fahrzeug häufig mit Wasser; es schlug an die Felsen, ging aber nicht in Stücke, vielleicht weil der Segen des Jesuiten darauf lag. Die Indios, aus Schürfwunden blutend, rissen sich oft in letzter Minute aus den Strudeln und schwammen zur nächsten Insel. Wenn die Felsen zu mächtig waren, rollte man das Boot auf dünnen Baumstämmen, von denen man die Äste und Zweige abgeschlagen hatte, am Ufer entlang bis zu dem Punkt, wo der Orinoko für eine kurze Wegstrecke wieder schiffbar wurde.
An einer dieser Stellen ließen sich die Forscher vom ruhigen, grün schimmernden Wasser täuschen. Es war der vierte Tag an den Katarakten. Er wurde beinahe ihr Verhängnis und das Ende der ganzen Expedition.
Sie saßen allein im Boot. Die Indios und der Guaquerie trugen die Instrumente und das Gepäck am schmalen Band des Ufersandes entlang. Das Wasser schien ruhig. Humboldt zeichnete den Verlauf des Flusses mit allen seinen Hindernissen, füllte Seite um Seite. Bonpland fischte Algen und Seerosen zum Trocknen aus dem Wasser und entdeckte winzige, feuerrote Läuse darauf. Plötzlich kamen hinter Felsen heftige Stromschnellen in Sicht. Es sah aus, als würden die schäumenden Wellen geradewegs in den jetzt wolkenverhangenen Himmel emporspringen. Wo die Oberfläche eben noch trügerisch glatt gewesen war, löste sich nun alles in Schaum auf.
»Hier ist immer was los«, entfuhr es Bonpland in komischer Verzweiflung. Humboldt wollte über die Bemerkung lachen, musste aber schnell handeln. Heftig begannen die beiden Forscher gegenzusteuern. Im Donnern der Wasser sah Humboldt aus den Augenwinkeln, wie die Indios am Uferdickicht aufgeregt die Arme schwenkten. Wortlos, mit einem einzigen Blick, verständigten sich die Freunde. Sie begannen nach Leibeskräften zu rudern. Doch die Wellen schlugen über das Boot, dass es sich allmählich mit Wasser füllte; um es wieder hinauszuschaufeln, blieb keine Zeit. Eine kräftige Böe von der Seite – in einem Moment, als die heftig arbeitenden Männer in die falsche Richtung auswichen – war schließlich zu viel.
Das Boot kenterte. Die Gefährten stürzten in die Flut, und mit ihnen die Bücher und gesammelten Studienobjekte.
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